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Blümchen Offline



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05.05.2004 09:45
Kinofilm: Ässhäk Antworten


Ässhäk - Geschichten aus der Sahara

Schweiz, Deutschland, Holland 2003

SYNOPSIS

Zwischen Hitze und Kälte, der Grossartigkeit des Sternenhimmels und dem beschränkten Licht eines Wüstenfeuers haben sich die Tuareg in der Weite der Sahara eingerichtet und pflegen noch heute ihre Liebe zu Schönheit, Musik und Poesie. Ein Tuareg-Nomade auf der Suche nach seinem entlaufenen Reitkamel führt durch Sand- und Gesteinsformationen zu den Brunnen, Lagerstätten und Märkten seines sagenumwobenen Volkes. Der Geschichtenerzähler Ibrahim Tshibrit bewahrt die mündliche Überlieferung seines Stammes und erklärt, dass seine „Lügengeschichten“ irgendwann zur Wahrheit würden. Der Marabut, als Heiliger verehrt, ist der Hüter einer Jahrhunderte alten Moschee und vorislamischer Bräuche. Er gewährt Einblick in sein Wirken, zum Beispiel bei der Zubereitung eines Heiltranks aus Korantexten. Und wir begegnen Tuareg-Frauen und -Mädchen, die noch immer den Rhythmus des Zusammenlebens in Händen haben. Durch das Spiel des Imzâd, der einsaitigen Geige, rufen sie den Männern die Werte ihres Volkes in Erinnerung, das vielleicht nur unter dem Schutz der Wüste bis heute überleben konnte. Die Tuareg führen uns ein in eine Welt, wo „Ässhäk“ – der Respekt vor anderen Menschen, die Geduld und ein achtsames Miteinander – als oberstes Leitmotiv gelebt wird.

Nach dem grossen Erfolg ihres Films Die Salzmänner von Tibet folgte Ulrike Koch einem Ruf zu den Tuareg, um die Lebenswelt dieses Volkes in einem Film darzustellen. Ässhäk – Geschichten aus der Sahara ist das Ergebnis einer vertieften und verinnerlichten Auseinandersetzung mit der Wüste und ihren Bewohnern. Aus einem respektvollen Blickwinkel zeigt der Film eine archaische Lebensweise voll schöpferischer Lebendigkeit, ein anderes Zeitverständnis und eine Sicht auf den Himmel über der Wüste.

Buch und Regie Ulrike Koch
Kamera Pio Corradi
Kamera-Assistenz/Technik Ueli Nüesch
Ton Dieter Meyer, Pepijn Aben
Produktion CATPICS COPRODUCTIONS , Zürich, Alfi Sinniger
In Co-Produktion mit PEGASOS FILM, Frankfurt/ Köln, Karl Baumgartner &
Ernst Szebedits , ART CAM THE NETHERLANDS, Arnhem, Gerard Huisman
Regie-Praktikum Claude Witz, Frederik Kunkel
Logistik Niger TOUAREG TOURS
Aghali Alambo
Fahrer El Hadji Ahmed, Ismaril Itirakat, Naji Biga, Mamathé Alambo
Koch Bouhari Akounou
Dreh Marokko PARC NATIONAL DU SOUSS-MASSA
Mohammed Ribi
Hans Peter Müller
Larbi Ouffak
Beratungen Marianne Roth-Mellakh, Mamathé Alambo, Aghali Alambo, Georg Klute, Mohamed Aghali Zakara
Übersetzung Tamashek / Französisch Ahmed Tcholli, Tamedi Tangana, Aghali Alambo, Ahmed Tangana, Mohamed Aghali Zakara
Übersetzungs-Koordination Esther Geiger
Lektorat Susanne Kahn-Ackermann
Übersetzung Englisch / Deutsch Oliver von Below
Schnitt Magdolna Rokob bfs
Schnitt-Assistenz Hartmut Teschemacher
Musik Harry de Wit
Musik Aufnahme Tomas Postema
Postproduktions-Koordination Ueli Nüesch
Postproduktions-Assistenz Catherine Alexandre
Tonmischung KONKEN STUDIOS, Hamburg, Stephan Konken
Vertonung Hartmut Teschemacher , Martin Langenbach, Thomas Knop
Equipment MEGARENT, Köln
Labor EGLI FILM & VIDEO, Zürich
Lichtbestimmung Ruth Kägi
Negativschnitt Yvonne Steiner
Blow-up PROBST FILM, Bern, Eva Rais
Spezial-Effekte und Titel SWISS EFFECTS, Zürich, Brigae Haelg
Ausbelichtung auf ARRI LASER Peter Demmer, David Pfluger
Frachtkoordination MAT TRANSPORT, Mario Keller
PR-Koordination Susanne Margraf
Buchhaltung Kemi Hernandez , Gert Schneider
Produktions-Assistenz Martina Thäler
Produktions-Praktikum Claudia Eichholzer
In Koproduktion mit SF DRS / TSI, Paul Riniker, Alberto Chollet
ZDF / Arte, Anne Even
NPS TV Nederland, Frank Peijnenburg
YLE/TV1 Co-productions Finland, Seija Kallio

Der Geschichtenerzähler El Hadj Ibrahim Tshibrit
Die Imzâd-Spielerin Schilen Rabidin
Die kleine Sängerin Azahra
Der Suchende Nohi Alutinine
Sein Begleitkamel Aurach

Zagado
Der Nomadenchef Ahmed Kenam
Seine Söhne Brahim und Rhissa

Tedek
Das Mädchen Azahra Ihelu
Die Grossmutter Nikka
Der Grossvater Mömme
Die anderen Mädchen Fenna, Raishita, Mödi
Sowie Tamumint, Anagar, Brahim

Takriza
Der Marabut Ejambo Ahmed Annor
Seine Frau Teira
Ejambos Tochter, Nohis Frau Azahra
Und weitere Nomadenfamilien

ZWEI INTERVIEWS MIT ULRIKE KOCH

Sie waren an Kinofilmen wie „Little Buddha“, „Der letzte Kaiser“ und „Urga“ sowie weiteren erfolgreichen Filmen beteiligt. Ihr eigener, mehrfach preisgekrönter Film „Die Salzmänner von Tibet“ wurde zu einem grossen Erfolg - in der Schweiz alleine sahen ihn über 50.000 Menschen. Die meisten ihrer Filme „spielen“ im Ausland. Wie kommt es, dass sie mit einem Filmteam an weit entfernte Orte reisen?

Das ist eine schwierige und eine persönliche Frage. Nach dem Krieg in Deutschland geboren konnte ich bereits als Jugendliche mehrfach ins benachbarte Ausland reisen, was mich natürlich prägte. Doch jahrelang hatte ich wegen der deutschen Vergangenheit ein Identitätsproblem. Dann begann ich Sinologie zu studieren und lebte viele Jahre in China. Dort traf ich Menschen aus aller Welt. Das vertiefte noch mehr mein Interesse für fremde Kulturen, es festigte aber auch meine Identität als Europäerin.

Zurück zu Ihren Filmen, in denen sie auch Religiosität und Spiritualität sichtbar machen. Was möchten sie dem Betrachter vermitteln?

Diese Themenkreise haben mit den Besonderheiten des Nomadenlebens zu tun. Das gilt sowohl für den Film „Urga“, der von den Mongolen der Inneren Mongolei handelt, als auch für „Die Salzmänner von Tibet“ und jetzt für „Ässhäk, Geschichten aus der Sahara“ bei den Tuareg. All diese Menschen führen ein einfaches Leben unter dem freien Himmel, sind Wind und Wetter ausgesetzt und von ihren Tieren abhängig. Eine religiöse und achtsame Haltung im Alltag verbindet diese verschiedenen Nomadenvölker, etwas, das wir weitgehend verloren haben. Der nomadische Alltag ist geprägt vom Wissen um den Wert einfacher Dinge, wie etwa dem des Salzes. Wie gewinnt man es? Was tut man damit? Solche Fragen haben auch mit Ökologie zu tun. Die Nomadenwirtschaft hat geniale Systeme entwickelt, die Natur zu nutzen, ohne sie im Übermass auszubeuten. Es gefällt mir, wie diese Menschen mit ihren Tieren und ihrer Umwelt umgehen und sie in Beziehung zu etwas Höherem setzen. Daraus könnten wir lernen, beispielsweise die Tiere als Partner zu behandeln oder die Erde nicht arrogant auszubeuten, bis es nicht mehr geht. Vielerorts ist es ja längst zu spät, doch die Zerstörung geht weiter. Anderswo versucht man unter grossen Mühen etwas wieder herzurichten. Aber der Wettlauf geht meist zu Gunsten des Abbaus aus. Von nomadischen Kulturen können wir lernen, Realität und Achtsamkeit in Einklang zu bringen, im Bewusstsein, dass auch der Mensch nur ein Glied im grossen Geschehen der Natur ist.

Demnächst kommt ihr neuester Film „Ässhäk, Geschichten aus der Sahar“„ in die Kinos. Er spielt bei den Tuareg in der Sahara. Sie verlassen den buddhistischen Kulturraum und betreten den islamischen. Weshalb?

(Denkt lange nach, lacht dann) Buddha ist überall - wenn man denn Buddha als existierend empfindet! Kurz nach dem Kinostart von „Die Salzmänner von Tibet“ wurde ich von einer Zuschauerin auf die Tuareg hingewiesen. Sie hatte selbst tiefe Erfahrungen in der Wüste gemacht und war überzeugt, ich müsse dort einen Film machen. Vorerst ging ich nicht darauf ein. Erst als ich mich zwei Jahre später für das Thema erwärmte, sah ich, dass sie Recht hatte. Es gab in der Tat viele Parallelen zu den Salzmännern. So lenkte ich meinen Blick von Asien nach Afrika und lernte staunend eine neue Welt kennen. Die Tuareg sind ein Berbervolk, mit ganz eigenen Merkmalen. Es war bereichernd, eine Kultur kennenzulernen, die vorislamische Elemente enthält, später islamisiert wurde, und schliesslich einen sehr menschlichen Islam lebt, in dem auch die Frauen ihren Stellenwert behaupten. Der Islam löst heutzutage oft Angst aus, weil er als das Böse schlechthin dargestellt oder damit verwechselt wird. Es ist mir deshalb wichtig, zu zeigen, wie der Islam auch noch aussehen kann und was er den Menschen im Herzen bedeutet. Spannend ist auch, dass die drei grossen monotheistischen Weltreligionen, Judentum, Christentum und Islam, in der Wüste entstanden sind. In ihrer archaischen Lebensweise erinnern die Tuareg an das frühe Christentum. Sie tragen auch jüdische Elemente, einige Tuareg sind jüdischer Abstammung. Und den Islam leben sie – auf ihre Weise.

„Ässhäk" heisst der Film, und das bedeute, sagt der Erzähler im Film, den tiefen Respekt vor den Verhaltensregeln der Tuareg. Weshalb dieser Titel?

Wer die Tuareg näher kennenlernt, weiss, dass das Wort Ässhäk für sie von zentraler Bedeutung ist. Das tritt in vielen Schattierungen auf, in der Art, wie sie ihre Probleme lösen, im Verhalten untereinander sowie jeder anderen Kreatur gegenüber. Es ist nicht nur der Schlüssel zu ihrem Zusammenleben, es ermöglicht auch ihr Überleben in der unwirtlichen Umgebung der Wüste, wo jeder Schritt gut bedacht sein muss. Es ist die Achse ihrer Kultur.

Doch was ist es genau - eine Art Code?

Ja, genau so kann man es umschreiben. Es ist die Verpflichtung zu guter Erziehung, zu Herzensbildung, Geduld, zu nobler Zurückhaltung und Würde. Es hat auch viel mit Frauen zu tun: Wenn ein Mann einer Frau gefallen will, so muss er Ässhäk üben. Er gibt sich alle Mühe, schön und würdevoll aufzutreten und sich gegenüber der Frau niemals brutal zu verhalten. Wenn ein Targi (männl.Tuareg) eine Frau schlägt, wird er geächtet. Interessant ist auch, dass dieser für uns doch etwas abstrakte Begriff Ässhäk über den Klang der einsaitigen Geige, den Imzâd, wirkt. Die Tuareg sind vom Klang dieses Instrumentes vollkommen fasziniert und empfinden dabei ganz stark den Zusammenhalt und die Stärke ihrer alten Kultur.

Deshalb kämpfte ich für diesen von einigen - längst nicht von allen! - als „schräg“ empfundenen Filmtitel. Heutzutage, wo vieles an der Oberfläche bleibt, weist dieses Wort auf etwas hin, das auch uns betrifft und das dadurch vielleicht zum Schwingen gebracht wird. Es geht mir nicht einfach um die Darstellung einer exotischen Lebensweise, sondern um das, was uns die Begegnung mit diesen Menschen im Herzen sagen kann. Das war mein Anspruch, den ich zusammen mit meinem hervorragenden Team bei der filmischen Arbeit zu verwirklichen suchte.

Die Arbeit für den Film bestand aus weit mehr als der eigentlichen Dreharbeit, es war auch eine Reise. Wie verlief sie?

Die Emmentalerin Marianne Roth-Mellakh, die mit einem Targi verheiratet ist und die Region seit vielen Jahren kennt, hat mich auf meiner ersten Reise eingeführt. Wir reisten in der grössten Sommerhitze von Tamanrasset via Hoggar in den Niger, ins Aïr. Kaum hatte ich die Grenze zum Niger überquert, erwartete mich der Marabut, der im Film vorkommt. Er wurde schon in der Vorbereitungszeit des Filmes wichtig und hat mich sehr unterstützt. Es war eine magische Reise, auf der ich bereits die meisten Protagonisten für den Film fand. Wieder zu Hause folgte die grosse Arbeit des Drehbuchschreibens. Anschliessend reiste ich ein zweites Mal hin. Alleine. Für mich war es wichtig, die Wüste alleine zu erleben. Danach traf mein Kameramann ein und wir machten erste Testaufnahmen. Es folgte eine dritte Reise.

Wie lange dauerten die Dreharbeiten?

Ich wollte unbedingt die Regenzeit filmen und das bedeutete: Warten auf Regen! Es war August, es war heiss, schwül, tausende Moskitos schwirrten herum - es war eine Übung in Geduld. Doch während dem einen Monat dauernden 'Regendreh' konnten wir schon viele wichtige Aufnahmen machen. Dazu kamen noch zwei Monate Drehzeit im Winter. Die gesamte Arbeit am Film dauerte vier Jahre.

Wie gelang es ihnen, so lange und so nahe bei den Tuareg zu leben und zu filmen?

Durch die erste Einführung, die ursächlich war, und durch die darauf folgenden Reisen ist etwas gewachsen. Ich hatte den Menschen vor Ort von Tibet erzählt, den Salzmänner-Film gezeigt, und sie sagten: Ja, das sind unsere Brüder und Schwestern in Tibet. Sie haben das sehr gut verstanden. Vor Ort hatte ich einen wunderbaren Übersetzer. Durch Dialog sind wir und die Protagonisten uns näher gekommen. Die Tuareg haben eine grosse Gesprächskultur; ich liebte die Momente klarer und inspirierter Besprechungen auf einer Matte unter irgendeinem Baum.

Im Film, der in ruhigen und schönen Bildern vom Leben der Tuareg erzählt, sind nur sehr wenige Zeichen aus einer anderen Welt sichtbar, etwa eine Büchse Nescafé oder ein Plastikkanister. Was bedeuten den Tuareg diese Dinge?

Es gab Stimmen, die sagten, das darfst du nicht zeigen. Aber oft werden die Tuareg in Klischées dargestellt, möchte man das vergangene Bild der geheimnisvollen blauen Ritter beibehalten. Ich versuche - auch filmisch - etwas anders hinzuschauen. Tuareg, die schon lange in der Stadt leben, schätzen Autos und Funktelefone und können damit sehr gut umgehen. Aber wenn man ihnen Kleider von uns mitbringt, werden sie zwar getragen, aber nur unter den schönen traditionellen Kleidern, die ihrer Kultur und Identität entspre-
chen. Für Tuareg-Nomaden sind gesunde Herden, Hirsebrei mit frischer Milch und schöne Feste immer noch von höchstem Wert, das wollen sie für nichts tauschen. Besuche in der lärmigen Stadt und das Schlafen in der Enge eines Hauses ohne Sicht auf den Sternenhimmel machen Tuareg krank.
Die Nescaf é-Dose verändert ihr Leben nicht, sie wird nur als ein nützliches Utensil verwendet. Wie auch die leeren Kanister, die sich hervorragend dazu eignen, rasch ein Trommelspiel zu beginnen, was mit traditionellen Trommeln nicht möglich ist, weil sie zuerst aufwendig gestimmt werden müssen. Für Feste tun sie dies natürlich.

Um 1996 den Film „Die Salzmänner von Tibet“ zu drehen, mussten sie sich beeilen, weil sie befürchteten, dass es bald keine Salzkarawanen mehr geben könnte. Wie beurteilen sie die Zukunft der Tuareg des Films?

In der Wüste herrscht ein sehr labiles Gleichgewicht. Es kann immer etwas passieren, es können Trockenzeiten und Hungerjahre auftreten. Ich denke und hoffe, dass sie so weiterleben können! Es gibt zwei Dinge, die ihnen dabei helfen: Die Wüste an sich schützt diese Kultur, denn man kann dort nicht so ohne Weiteres Industrien aufbauen. Ausser vielleicht den Tourismus - die Tuareg sind hervorragende, geduldige Reisebegleiter. Dank Ässhäk. Und das ist gleichzeitig der zweite Faktor, ihre einzigartige Verhaltensweise, der zu ihrem Schutz beiträgt. Diese zwei Pole, Ässhäk und Wüste, das eine etwas von Innen, das andere Aussen, werden sie so schnell nicht verlieren.

Ausser, es würden sehr viele Touristen kommen. Also wieder die Frage der Dosierung, wie am Anfang erwähnt. Denn ihr Film wird bei vielen den Wunsch auslösen, ins Tenere zu fahren. Sie sind eine Verführerin mit der Kamera. Was empfehlen sie diesen potentiellen Reisenden?

(Lacht) Tuareg Tours in Agadez! Nein, ich bin keine Verführerin. Höchstens im Sinne des Wahrnehmens und Wiedergebens der Schönheit - wenn mir das gelingen würde.
Es ist gelungen, deshalb ist es verführerisch!
Es ist wie bei den Salzm ännern: die Salzseen existieren nur für eine sehr kurze Zeit, dann verschwinden sie wieder. Man kann also hinfahren und findet wahrscheinlich nichts. Ähnlich ist es mit dem, was im neuen Film zu sehen ist. Man wird nicht so einfach zu den Geheimnissen des Marabuts oder zu den Zelten der Tuareg-Frauen vordringen können. Die vertiefte Annäherung und Verwandlung, die in der filmischen Arbeit stattfindet, kann und muss man auch nicht nachvollziehen. Wer aber in die Wüste reisen will, und das tun ja bereits viele, mag das gerne tun, denn sich in Begleitung von Tuareg in der Stille der Wüste aufzuhalten und die Nächte unter dem Sternenhimmel zu verbringen, ist wunderbar.

(Das Interview führte Daniel B. Peterlunger im November 2003 in Zürich)


Nach der ersten Recherchenreise sind sie noch einmal alleine in die Wüste gereist. Können sie beschreiben, wie das ist, so allein in der Wüste, in einem Zelt?

In der Wüste braucht man nicht wirklich ein Zelt. Der Himmel ist das Zelt. Und selbst während der Regenzeit schützt man sich nur vorübergehend unter Planen oder Bäumen, bis es zu regnen aufhört. Die Tage in Klausur verbrachte ich im April, in der trockenen, bereits heissen Jahreszeit. Ich stand unter dem Schutz des Marabuts, der mir weit draussen in der Steinwüste ein kleines Lager eingerichtet hatte. Einmal am Tag kam seine Tochter mit Milch und Wasser den weiten Weg zu mir hinauf, um sicherzustellen, dass alles in Ordnung ist. Wir konnten nicht miteinander sprechen, wir schauten uns an und lächelten, dann ging sie wieder. Noch nie habe ich solche Dankbarkeit empfunden, für die Gaben und die Freundlichkeit dieser Menschen und für die Geschenke der Natur, das Licht der Gestirne, die wenigen Geräusche und die Stille, die bis in die Träume hinein wirkten.

Gab es beim Dreh Probleme mit wilden oder giftigen Tieren?

Da wir ja draussen auf die Toilette gehen mussten, ist uns in exponierter Position schon öfter ein Skorpion begegnet, mit erhobenem Schwanz. Zum Glück lief er meistens von einem weg. Zweimal hatten wir eine hochgiftige Viper am Camp, die dann jeweils nach intensiver Suche erlegt wurde. Für unsere Tuareg-Begleiter musste das sein, denn sie wissen: Da sitzt der Tod.Weniger als ein Jahr nach den Dreharbeiten habe ich leider die Nachricht bekommen, dass eines dieser lebendigen, intelligenten jungen Mädchen, die im Film mitspielen, an einem Skorpionbiss gestorben ist. Man macht sich das gar nicht wirklich klar, weil ihr Leben so harmonisch aussieht. Aber die Gefahren und die Härte, die sind immer gegenwärtig. Ich habe es nicht glauben wollen, dass es auch Einheimischen passieren kann. Das hat mich erschüttert. Und es hätte auch uns treffen können.

War es eigentlich der erste Kontakt der Imzâd-Spielerin und des Geschichtenerzählers und Sängers El Hadj Ibrahim Tshibrit mit einer Kamera, oder hatten sie schon vorher Berührung mit einer fremden Kultur?

Mit einer Filmkamera glaube ich noch nicht. Doch vor allem der Geschichtenerzähler wurde schon mehrfach nach Frankreich, Schweden und andere europäische Länder eingeladen. Innerhalb der ethnologischen Forschung und unter den Liebhabern der Tuareg-Musik und -Poesie ist sein Name wohl bekannt. Davon erzählt er auch gern. Seine ganze Familie verkörpert noch heute eine grosse Künstlertradition. Seine Schwester ist Schilens Mutter, die ebenfalls eine sehr berühmte Imzâd-Spielerin war und mit ihm nach Europa eingeladen wurde. Schilen ist jetzt die nächste Generation. Aus irgendeinem Grund sind solche Einladungen nach der Rebellion Anfang der neunziger Jahre nicht wieder aufgelebt.

Die Tuareg reden sehr frei vor der Kamera, geben sehr viel von sich preis, von ihrer Kultur und dem, was dahinter steht. Wie haben Sie diese Textpassagen entwickelt? Haben sie lange Interviews geführt?

Die sprachliche Ebene war wirklich eine der grössten Herausforderungen an diesem Film. Und zum Teil wirklich zum Verzweifeln. Einerseits habe ich natürlich ganz viele Gespräche geführt um herausfinden, welche Lieder sie haben und welche Themenkreise, welche Geschichten mich interessieren könnten. Gerade beim Geschichtenerzähler stellte sich immer wieder die Frage, wie ich zu den für den Film interessanten Inhalten komme, ohne von seinem unglaublichen Wissen überflutet zu werden. Wenn ich ihm ein Stichwort gab, sprach er fünf Stunden lang, in einem Fluss. Und beim Abschied sagte er mir lachend: „Wenn du das nächste Mal kommst, erzähle ich weiter.“ Bei den Dreharbeiten haben wir von jeder Aufnahme sogleich eine schriftliche Grobübersetzung gemacht, damit ich die Inhalte erfahre und dementsprechend weiterarbeiten konnte. Für die genaue Bearbeitung im Schneideraum brauchten wir jedoch eine Zweitübersetzung mit Time Code, sowohl von den gelenkten Dialogen als auch von spontanen Äusserungen, die mir ebenso wertvoll sind. So kamen dann Bemerkungen ans Licht wie diejenige des Nomadenchefs im Morgengrauen: “Ach, die schönen Frauen mit ihrem Parfüm…“ oder auch die Dialoge der Marktszene. In Europa war es sehr schwer, jemanden, der das Aïr-Tamashek der im Film vorkommenden Stämme spricht, für die Zweitübersetzung zu finden. Schliesslich fanden wir einen hervorragenden Tuareg-Professor in Paris, der sich sehr engagierte. Wir haben eine Mitarbeiterin delegiert, die mit ihm eine Woche quasi Tag und Nacht übersetzte. Aber auch er kannte in manchen Bereichen den Dialekt nicht. Also musste unser Tuareg-Manager aus Agades extra zweimal in den Schneideraum kommen, um wiederum in tagelanger Arbeit zu übersetzen. Aus der französischen habe ich dann eine deutsche Version gemacht. Und aus diesen Bergen von Inhalten ist nun das bisschen Text entstanden, das man im Film findet.

Spielte es beim Übersetzen eine Rolle, dass die Tuareg eine rein mündliche Überlieferung besitzen?

Darüber habe ich viel nachgedacht. Es kann sein, dass es ihnen aufgrund der mündlichen Überlieferung nicht liegt, Worte festzuhalten, zu fixieren, wie es bei einer schriftlichen Übersetzung geschieht, weil damit ja auch eine Einengung geschieht. Beim Erzählen ist jedes Wort immer wieder neu, es wird auf der Grundlage der alten Tradition jeweils neu interpretiert und gestaltet. Diese verschiedenen Ansätze zusammen zu bringen, das hat mich einige Kraft gekostet. Ich habe Chinesisch studiert, arbeite mit Sprachen, also sind mir solche Probleme nicht fremd. Aber dies war eine ganz besondere Herausforderung.
Man stellt sich das so einfach vor: Hier ist ein Text, der Übersetzer sagt einem, was das Wort heisst und es entsteht der neue Text.
Auch zwischen Deutsch und Englisch ist das ja nicht immer der Fall. Jedes Mal, wenn ich nachfragte, bekam ich eine etwas andere Übersetzung. Die Worte sind beweglich, das ist das Seltsame. Doch je weiter ich nachforschte, in desto tiefere Schichten bin ich vorgestossen. Es hat sich ausgesprochen gelohnt, denn auch mein Verständnis der gesamten Kultur wurde bereichert. Oft hatten die Worte noch eine andere, vielleicht verborgene Bedeutung oder eine andere Schattierung, und um diese Schattierungen geht es mir ja.

Wie haben Sie das Vertrauen des Marabut gewonnen, dieses so wichtigen Mannes dort?

Ich hatte natürlich von ihm gehört und war dann auch sehr beeindruckt und scheu angesichts seiner Ausstrahlung. Aber dann entwickelte sich ein Gespräch und inzwischen weiss er wahrscheinlich mehr über mich, als ich über ihn. Er hat mich „abgecheckt“, und aus irgendeinem Grund hat er mir sein Vertrauen geschenkt. Warum, weiss ich auch nicht. Ich will damit sagen: Diese Leute sind nicht blauäugig, man könnte sie nie kaufen. Es muss eben stimmen. Er hat uns auch Regeln auferlegt, wie wir uns verhalten sollen. Wir mussten zeigen, dass wir bereit sind, ihre Welt mit Respekt zu betreten. Wir mussten uns kleiden wie die Tuareg, was sich auch bewährt in dieser Umgebung. Ich musste allerdings trotz Hitze unter dem Wickelrock eine Hose tragen. Er sagte einfach: „Das machst du jetzt.“

Tiere spielen im Film eine grosse Rolle. In den Traumsequenzen tauchen längst ausgestorbene Wüstentiere auf, Strausse und Pfauen, die auch auf den Felszeichnungen zu sehen sind. Sind sie tatsächlich noch im Bewusstsein der Tuareg präsent?

Diese Felszeichnungen, die ja zum Teil aus sehr alter Zeit stammen, bedeuten ihnen sehr viel. Manchmal haben sie unterwegs so nebenbei welche entdeckt, die Wüste ist voll davon. Sie stehen davor in inniger Betrachtung und fühlen sich verbunden mit dieser alten Zeit. Wir haben wunderschöne Sequenzen gefilmt, wo der Geschichtenerzähler Felszeichnungen kommentiert und entsprechende Geschichten erzählt. Die Bilder auf den Felsen sind für sie voller Leben und Vitalität, sie sind Teil ihrer Unterhaltungskultur. Ganz allgemein aber gilt, dass den Tuareg die Tiere sehr nahe sind. Neben den Haustieren spielen für sie auch die wilden Tiere eine wichtige Rolle. Die Gazelle, der Mufflon, die Strausse, der Falke u.a. sind Teil des Lebens, sie sind Partner und man hat sehr viel Respekt vor ihnen. Man sieht in ihnen auch Geistwesen oder deren Verkörperung, ähnlich wie bei den Indianern. Das Erscheinen des Hasen im Film z.B. hat in ihrer Vorstellung eine tiefe symbolische Bedeutung.

Und das Kamel?

Ja, das Kamel ist natürlich das Tier aller Tiere für die Tuareg. Es gibt viele Liebeslieder, die eine schöne Frau mit einer Kamelstute vergleichen. Wenn eine Frau auch nur annähernd so schön ist wie eine Kamelstute, dann muss sie schon sehr schön sein. Die Schönheit an sich, das Edle, das, wo alle Sehnsucht hingeht, ist wirklich das Kamel. Wenn man länger dort ist, kann man das ein bisschen verstehen. Es sind wirklich wunderbare, sanfte, edle Tiere. Sie dienen und ermöglichen dem Menschen das Leben in der Wüste, gleichzeitig aber gehen sie eigenwillig ihren Weg. Deshalb gefällt mir auch der Gedanke des entlaufenen Kamels, denn das geschieht immer wieder.

Im Film gibt es eine Szene, in der Schriftzeichen in den Sand gezeichnet werden. Benutzen die Tuareg diese Schrift, oder sind es für sie nur magische Zeichen?

Das sind altlibysche Schriftzeichen, das Tifinagh. Man findet sie auch als Gravuren auf den Felszeichnungen, das zeigt ihre uralte Herkunft. Heute werden sie vor allem von den Jungen gepflegt, um sich Liebeszeichen in den Sand zu schreiben. Sie benutzen das Tifinagh auch für die so genannte „Fingerschrift“. Dabei schreibt man dem anderen in die Handfläche, so dass nur der- oder diejenige es lesen kann. Es wird also vorwiegend für Flirt und Galanterie benutzt, wie so vieles in ihrem Leben. Die Galanterie spielt eine ganz grosse Rolle bei den Tuareg. Diese Schrift wird tatsächlich auch heute noch gelehrt, direkt von den Müttern oder den älteren Geschwistern. Eine Schule dagegen, in der die Kinder Schreiben und Rechnen lernen, die gibt es erst seit kurzem. So etwas ist für die Nomaden selten.

Die Musik scheint für die Tuareg eine ganz bedeutende Rolle zu spielen, die man auch im Film spürt.

Was diese Musik für sie bedeutet, habe ich auf der ersten Recherchenreise erlebt. Ich hatte Videoaufnahmen mit der Imzâd-Spielerin Schilen gemacht. Als ich dann zwei Wochen später mit den Tuareg-Begleitern auf Kamelen in der Wüste unterwegs war, kamen sie eines Abends am Feuer mit der dringlichen Bitte zu mir: „Spiel uns den Imzâd vor, wir brauchen Mut. Wir sind gerade schwach in unserem Herzen, traurig und weit weg von zu Hause, wir brauchen Mut, wir brauchen Ässhäk.“ Da hab ich ihnen die Aufnahmen auf dem Mini-Monitor gezeigt, etwas besorgt, dass kein Sand in die Kamera kommt. Und sie lauschten in wirklicher Ergriffenheit diesem für uns etwas monotonen Klang und fühlten sich bereichert und gestärkt. Diese Wirkung des Imzâd ist etwas, das wir nicht kennen: dass ein einfacher Klang die Herzen der Menschen zusammenbringt.

(Das Interview führte Gisela Kruse im November 2003 in Hamburg.)

Quelle:
http://www.columbusfilm.ch/filme/asshak/index.html#


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